Luxus für alle!

Luxus für alle!. Die Gedankenwelt der Pariser Commune. Von Kristin Ross, Berlin: Matthes & Seitz Verlag, 2021, Paperback, 204 Seiten, 978-3751803243, 20,00€

Rezension

Der Buchtitel Luxus für alle! klingt etwas plakativ und trifft auch nicht genau den Originaltitel der englischen Originalausgabe – Communal Luxury –, wo explizit mit dem Begriff „communal“ und dessen etymologischer Verbindung zum Begriff der Commune hantiert wird. Dennoch sollte man sich nicht abschrecken lassen, weil das Projekt von der emeritierten amerikanischen Professorin für Vergleichende Literaturwissenschaft Kirsten Ross, d.h. der Versuch, die „Elemente einer Vorstellungswelt zusammenzusetzen“ (S. 7), ein sehr ambitioniertes Anliegen mit großer Bedeutung für die Beurteilung der Pariser Commune ist. Sie wählt hierfür die Formel „luxe communal“ [wörtlich: kommunaler Luxus bzw. gemeinsamer Luxus], eine im Kontext der Pariser Commune entstandene Formulierung. Ross fokussiert dabei auf Fragen der politischen Kultur der Pariser Commune – und setzt damit einen anderen Fokus als in ihrer, auf Arthur Rimbaud zugeschnittenen, poetologischen Studie aus den 1980er Jahren, die bislang noch nicht in deutscher Übersetzung vorliegt.

In ihrer Einleitung verweist sie auf die Aktualität des Projekts der Pariser Commune für das Verständnis zeitgenössischer sozialer Proteste, ohne dies in ihrer Studie weiterführend zu thematisieren – mit Ausnahme der ökologischen Anknüpfungspunkte, die sie vor allem aus dem Wirken von Reclus ableitet. Es lassen sich dabei gewisse Kernpunkte ausmachen. So beginnt sie z.B. mit dem internationalistischen Charakter des Projekts, thematisiert die bildungspolitischen Konzepte einer integralen Bildung und beleuchtet weiterhin die Bedeutung der praktischen Erfahrungen für das Umdenken von Karl Marx, wobei sie auf eine Studie von Raya Dunayaevskaya rekurriert. Ross beweist dabei sehr gute Kenntnisse der Commune-Literatur, die sie pointiert in ihre Darstellung einbettet. Die Quintessenz dessen findet sie in der politischen Kultur der Commune: „Die politische Kultur der Kommune deutet die zwei weitreichenden Veränderungen an, die nötig sind, um diesem Zustand [der Anlass für die Erhebung bot] ein Ende zu bereiten. Die erste besteht in der Überführung von Grund und Boden in Gemeineigentum. […] Die zweite Veränderung folgt aus der ersten und besteht in einer Förderung jener Art von Selbständigkeit, die die Losung der Kommune war“ (S. 180 f.).

Der essay-artige Text Luxus für alle! wurde bereits vor sechs Jahren im angelsächsischen Raum publiziert und jetzt erst ins Deutsche übertragen. Trotz des „Alters“ hat der Text seine Aktualität behalten. Ross geht es darum, die Vorstellung von Kommunard*innen und ihren Gegner*innen logisch weiter- bzw. zuendezudenken. Für eine anarchistische Rezeption ist diese Rekonstruktion der Vorstellungswelt dennoch von besonderem Interesse, da sie sich u.a. eingehend mit dem im Deutschen wenig rezipierten französischen Anarchisten Elisée Reclus, nach dem man in Paris sogar eine der zum Eiffel-Turm führenden Straßen benannt hat, dem libertären „Frühsozialisten“ William Morris (Kunde vom Nirgendwo) und Pjotr Kropotkin befasst. Gerade letztgenannter sah in der Kommune eine „revolutionäre Form der Zukunft“ (S. 149). In dieser Auswahl zeigen sich deutliche Sympathien der Autorin für jenes Spektrum. Erstaunlicher Weise wird der Proudhonismus als eine der wesentlichen Strömungen innerhalb der Commune gar nicht explizit beleuchtet.
Insgesamt ist ein sehr intelligenter, teils auf Grund ihres fordernden Schreibstils nicht ganz so leicht zu lesender, aber geistig sehr gewinnbringender Essay entstanden, der nicht die Ereignisse und Ideen lediglich darstellt, sondern durchdenkt und einordnet.

Maurice Schuhmann

Quelle: espero Nr. 3, Juli 2021, S. 281-282.